10. Bräuche: Martini, Freitag Mittags-Glocke, Spitznamen

Martini: Der 11.11., der so genannte Martini, ist im Bauerntum seit 1809 Brauchtum als Zahlungstermin, z. B. für Zahlungen wie Pachtzinsen, Alpsömmerungstaxen, Handels- und Darlehensschulden etc., und auch für Tauschgeschäfte. 

Beispiel aus der Herrschaftszeit: Nach Artikel 3 des Wiener Friedens, geschlossen mit der Kantonsregierung im Jahr 1809 (unter anderem). „Die Zins- und Handelsschuldner aus den Stammgemeinden Rhäzüns, Bonaduz, Ems, Felsberg und Obersaxen werden auf die Beschlussfassung vom 21.12.1809 daran erinnert. Das alle Güterpachtzinsen, zurückbehaltene Grundzinsen sowie auch die rückständigen Zinsen auf dem Martini am 11. November jeweils zu entrichten seien.“1

Martiniritual aus vergangener Zeit: Beispiel aus dem Jahr 1953: Am 11. November ist Martini und in vergangenen Zeiten war und ist zum Teil noch heute Zinstag. Es wurde, soweit das Geld zur Verfügung stand, sämtliche Rechnungen wie Pachtzinse, Sömmerungskosten und Alptaxen bezahlt. Am Martiniabend wurde jeweils eine Versammlung abgehalten, in der über den verflossenen Alpsommer orientiert wurde.  Es wurde die Milchmenge sowie das, was während der Alpzeit an Butter, Käse und Zieger fabriziert wurde, bekannt gegeben. Hauptsache war das Kassieren der Sömmerungskosten und Alptaxen. Für eine Kuh betrugen im Jahre 1953 die Sömmerungskosten von Fr. 52.-, zusätzlich für den Molkentransport Fr. 3.50, die Versicherung (Personal) Fr. 1.80 und für die Weideräumung Fr. 15.-, total pro Kuh Fr. 72.30. Es war schon fast eine Pflicht, dass jeder Alpbestösser einen Arbeitstag pro Kuh an den Weideräumungsarbeiten mitleistete. Der Alpbestösser wurde für zusätzlich geleistete Arbeit mit Fr. 15.- pro Tag entschädigt. Für auswärtige Alpbestösser betrug die Sömmerungstaxe total pro Kuh Fr. 100.-. Sogar Kühe aus den Dörfern Alvaschein und Mon wurden auf unserer Kuhalp gesömmert und die Sömmerungstaxe betrug für auswärtige Alpbestösser in den Jahren 1956/57 Fr. 120.- pro Kuh. Für Mehrbezüger an Butter und Käse während des Sommers wurde im Jahr 1951 für Butter Fr. 8.20 und für Käse Fr. 2.50 pro Kg. verrechnet. Zum Vergleich die Produzentenpreise im Jahr 2006: für Alpbutter Fr. 14.- bis 16.- und für Käse Fr. 16.- pro Kg.

In den 1940er-Jahren wurde auf den Alpen Magerkäse in unterschiedlicher Qualität hergestellt. In der heutigen Zeit wird ein dreiviertel- bis vollfetter Käse von sehr guter Qualität produziert. Trotz der veränderten Ernährungsweise ist Alpbutter immer noch ein beliebtes, gesundes und gehaltvolles Nahrungsmittel. Der Brauch war nun so, dass nach den Sachgeschäften die Martiniwurst, für das leibliche Wohl und für die gute Laune, und ein süffiger Roter konsumiert wurde. Es herrschte meistens eine lockere Stimmung und der Heimweg wurde erst zu später Stunde fröhlich angetreten.

Martini wurde auch auf den Maiensässen gefeiert. So versammelten sich die Bauern, die ihr Vieh auf dem Maiensäss ausfütterten, zu einem gemütlichen Abend in einer Maiensässhütte. Auch hier oben wurde bis spät abends diskutiert und gelacht. Einmal kam es dabei zu einer sehr speziellen Situation: Ein Bauer behauptete, dass jeder Hund, wenn er seine Methode anwende, fliehen oder zurückziehen werde. Er nahm einen Hut steckte den Hutrand in den Mund und ging kriechend dem Hund entgegen. Der Hund wich knurrend bis an die Hüttenwand zurück, dann schnappte er zu und biss den Bauern in die Nase. Die Wunde wurde reichlich mit Schnaps (Branntwein) desinfiziert und der Bauer kam mit dem Schrecken davon. Am anderen Tag war seine Nase mit einem Heftpflaster zugedeckt und für Gespött war gesorgt. Trotz Martinifeier wurde das Vieh am 12. November ordnungsgemäss versorgt und die Milch zu Tale getragen.2

Es ist heute noch Brauch, dass in Rhäzüns wie auch in andern Regionen an diesem Datum die Bauern ihre Zahlungen (Pachtzins usw.) tätigen; auch die Martiniwurst darf an diesem Tag nicht fehlen.

 

Freitägliche Mittags-Kirchenglocke 1696, Brotspende/Dunn dil paun (Pizokelglocke)
Am 30. Dezember 1696 wurden den Stammherrschafts-Dörfern einige Rechte eingeräumt. Unter anderem geht die Freitägliche Brot-Abgabe („Dunn dil paun“) auch auf diese Vereinbarung zurück.1

Die armen Bevölkerungen von Rhäzüns und Bonaduz erhielten das Recht an, jeden Freitag, wenn nach der Mittagsglocke die zweitgrösste Kirchenglocke läutete, beim Zehntenstall bei der Gerichtslinde eine Brotgabe oder eine Gabe in Form von Mehl zu fordern. Davon wurde ausgiebig Gebrauch gemacht, sodass die „Fünfzehnten“-Abgaben durch die Brotspende ungefähr ausgeglichen wurden.Das Recht auf die Brotspende erlosch 1819 durch den Übergang der Herrschaft von Österreich an den Kanton Graubünden und die Schweiz.

Heute noch, im Jahr 2019, also 200 Jahre später, läutet jeden Freitag nach der Mittagsglocke die zweitgrösste Glocke / Il zenn maseum und erinnert so an dieses Recht, das bis 1819 bestehen blieb, auch weil der Freitag in Befolgung der kirchlichen Vorschriften früher allgemein als fleischloser Tag galt. (Dieses Glockengeläut wird heute noch mit „die Brotglocke läutet!“ oder auch „die Pizochel-Glocke läutet“ bezeichnet. – Il zenn da bizochels tucha).

Möge unser „zenn maseum“noch lange am Freitag läuten und uns an dieses durch unsere Vorfahren mühsam erkämpfte Recht erinnern.M.s.u. 33. Hochgericht Rhäzüns (Gerichtslinde)  (In Bonaduz geriet dieser Brauch in Vergessenheit.)

 

Spitzname als Rufname 
aus Datenschutzgründen werden keine Spitznamen von lebenden Personen aufgeführt

In den Taufbüchern zu finden sind: etwa 50 % deutsche, 30 % lateinische und 20 % rätoromanische Namen.  Warum hatten viele Rhäzünser/innen einen Spitznamen als Rufname? Bei den meisten Familien trug jedes Mitglied zwei bis drei Vornamen der Vorfahren. Wenn zum Beispiel mehrere Geschwister mit dem gleichen Nachnamen zur gleichen Zeit Eltern wurden und alle Nachkommen die Namen der gleichen Vorfahren bekamen, ist es durchs Band vorgekommen, dass in einer Zeitspanne von 5 bis 10 Jahren drei bis fünf Cousins den gleichen Vor- und Nachnamen erhielten. 
Die meisten Frauen trugen die Namen: Maria, Anna, Dorothea, Theresia, Agnes, Christina, Magdalena, Margaritha, Brigitta, Johanna, Barbara, Elisabeth, Antonia, Catharina.
Die meisten Männer trugen die Namen: Joseph, Johannes, Caspar, Benedikt, Balthasar, Peter, Blasius, Christian, Christophel, Philip, Rudolph, Georg, Anton, Franzeschg, Jacob, Giacum, Matheus, Mathias, Andreas, Carlus.

Männer:

Arpagaus Anton (?)- Toni Buck / Buck = (Geiss-)Bock 
Anton Arpagaus war "Ziegenbock-Züchter"

Bernasconi Gion (1918-2009) - Gion bernagel / Namensgebung nicht bekannt

Bernasconi Josef (1920-2009) - Pepp / Namensgebung abgeleitet von Josef

Caduff Anton (1900-1988) - Zogg - Stahlin
- Zogg: er bekam diesen Namen weil er sehr gut Ski fahren konnte. Bei den Skirennen von der Rhäzünser-Unteralp bis Trille (Obermühle) rief man sich zu: "achtung dr Zogg kunnt". Zu dieser Zeit (60er Jahre) war der schweizer Skirennfahrer David Zogg sehr berühmt.
-Stahlin: er hatte eine grosse Ähnlichkeit mit Josef Stahlin

Camenisch Crest Anton (1890-1961) - Chemisch – „ina vacca ad in piertg – ha“
- „Chemisch“ entstand durch einen Sprachfehler abgeleitet von Camenisch
- „ina vacca ad in piertg – ha“:  kurz vor der jährlichen Alpladung rief der Alpmeister am Sonntag nach dem Hochamt die Bauern für die Tier-Bestandesaufnahme mit dem Ausruf „caschada“ zusammen. Beim Aufrufen von Camenisch Crest Anton (Chemisch) kam von ihm jedes Jahr die gleiche Aussage: „ina vacca ad in piert – ha“  

Camenisch Gion (1887-1970) - Gion hucki  / Namensgebung nicht bekannt

Camenisch Gion (1878-1956) - Gion zopp / zopp = der Hinkende

Camenisch Johann Anton (1810-1993) - Ruosser / Ruosser = Kaminfeger / Namensgebung: Beruf Kaminfeger

Camenisch Josef (1840-1935) - Sepp dil Sepp / Sohn von Vater

Caminada Johann Albert (1897-1978) - Pup sogn
die Namensgebung "Pup" ist nicht bekannt; die Namensgebung "sogn" ... er wohnte gegenüber der Kirche 

Caminada Johann Georg (1911-1995) - Georgli, Namensgebung Verkleinerung des Rufnamens

Caminada Gieri (1912-1975) - Gieri pup 
Gieri Caminada war während vieler Jahre in der Musica da Razén Bassspieler. Der Spitzname entstand durch den „Bassrhythmus“ 

Caminada Gion (1916-1921) - Gion da leurs 
Er jagte auf der Niederjagdt vorallem Hasen

Caprez Silvio (1944-...) - Schnapper / Namensgebung nicht bekannt

Casentieri Raymund (1948-2015) - Gimundi 
ein weltbekannter italienischer Velo-Rennfahrer hatte den Nachnamen Gimundi. Er wurde Ende der 60er Jahre Weltmeister und "Giro-Gewinner". Ab dann nannte man Raymund Casentieri nur noch "Gimundi"

Cavelti Gion Balzer (1908-1988) - Schnider Cavelti / Namensgebung: Beruf Schneider

Caviezel Anton Fidel (1899-1983) - Tuni Chideli / Namensgebung durch Sprachfehler

Caviezel Balthasar (1912-1978) - Balzer pot / pot = Briefträger / Namensgebung: Beruf Posthalter und Briefträger

Caviezel Giacum Anton (1882-1958) - Tuni schgara petas / schgara petas = Kuhfladen
jedesmal nach dem täglichen Viehtränken am Dorfbrunnen bei der Hauptstrasse (zwischen Konsum und Rätus) nahm er die Kuhfladen mit Schaufel und Kübel zusammen. Er verwendete diesen „Mist“ für seinen Garten.

Caviezel Gieri Beat (1896-1984) - Gieri plat / Namensgebung abgeleitet von Beat

Christoffel Carl (1880-1959) - Carl da aviuls / aviuls = Bienen
die Imkerei war sein Nebenerwerb

Christoffel Lurin (1910-1979) - Lurin pign / pign = klein
er war klein und mager aber "Tabak tschiggen" konnte er wie ein Grosser

Dermont Peter (?) - Kappanägel / Kappanägel = Schuhe mit Nägel
er trug meistens Schuhe mit Nägel

Epli Gion (1937-2001) - Gion banan - Gion heil 
- Gion banan: in den 50er-Jahren, wenn natürliche Eisfelder entstanden, ging die Jugend auf Eisfeld. Gion zog zur Belustigung Vieler seine „Bananen-Kurfen“.
- Gion heil: Gion besass besondere Heilkräfte (Magnetopath)

Fetz Gieri (1896-1950) - Gieri da la Nina / Nina Fetz war ein Familienmitglied, Verwandschaftsgrad nicht bekannt

Fetz Ulrich (1899-1962) - Ueldri krüzer / Wirt von Restaurant crusch alva (weisses Kreuz)

Fetz Ulrich Benedikt (1870-1940) - Ueli dil rätus / Wirt von Restaurant Rätus

Heini  Gion Balzer (1893-1978) - Gion bell 
Er war über viele Jahre Vetreter der Grossmetzgerei BELL von Basel

Jaeger Daniel (1847-1935) - da la villa Daniel
Die Familie Jaeger wohnte im Haus Via Davitg 11. Obwohl es ein einfaches Haus war, nannte man es "Villa Daniel".

Maier Christoffel (1827-1906) - Hauptmann Maier / Namensgebung: Militär-Hauptmann

Maier Josef (1903-1981) - Sep Fravi / Fravi = Schmied (Huf-, Kunstschmied)

Murk Andreas (1932-2003) - Dea Murk
Dea Murk war sein Künstlername (Kunstmaler)

Pitz Carl (1888-1971) - Carl dil blick / Wirt von Restaurant Alpenblick

Pitz Gion (1902-1976) - Gion seck / seck = dürr

Pitz Magnus (1895-1990) - Mang da cots / cots = Hahn (Kückel)
Mit Freude reizte er  die verschieden Hähne bis sie ihn angriffen 

Schlosser Giacum Anton (1901-1981) - Giaca Tona / Namensgebung durch Sprachfehler

Spadin Erwin (1948-2003) - Kicker / Namensgebung nicht bekannt

Spadin Friedolin (1955-1997) - Fiffi / Namensgebung abgeleitet von Fridolin

Spadin Josef (1910-2004) - Sep da la val / Namensgebung von Wohnquartier 

Spadin Meinrad (1913-2006) - Meinrad gros / gros = dick
Er war dicker als Meinrad Caviezel (Meinrad pign)

Spadin Werner (1946-1970) - Mussi / Namensgebung nicht bekannt

Tschalèr Anton (1939-?) - Tuni bremser
Zog als Passagier bei der RhB die Notbremse, einfach weil er wissen wollte, für was und wieso dieser "Hebel" war. 

Tschalèr Anton (1866-1943) - Tuni signun / signun = Senn

Tschalèr Anton (1939-?) - Tuni tram / Namensgebung nicht bekannt

Tschalèr Bernhard (1939-...) - Kückel 
Er konnte das Krähen eines Hahns (Kückel) sehr gut imitieren. Das Interessante daran war, dass er das Krähen der verschieden "Dorfkückel" kannte und diese auch so imitierte. 

Tschalèr Franzeschg (1917-1998) - Zischg / Namensgebung abgeleitet von Franzeschg

Tschalèr Gion (?) - Gion verd / verd = grün / Namensgebung nicht bekannt

Tschalèr Josef (1917-2003) - Pickelhart
Er gab sich selbst diesen Namen, was er damit meinte kann jeder selbst interpretieren

Tschalèr Josef (?) - Sep tort / tort = krumm
Er hatte eine schräge Gehweise 

Tschalèr Matheu (1875-1952) - Teuli / Namensgebung abgeleitet von Matheu

Tschalèr Rudolf (1908-1973) - Ruedi dalla posta / Wirt von Restaurant Post

Tschalèr Stefan Antonius (1864-1937) - Stefan Moler / Namensgebung Beruf: Maler

Tschalèr Ulrich (1863-1949) - Ueldri maza gizzis / mazza gizzis = "Gizzi-Metzger"

Vieli Ludiwig Anton (1945-?) - Tschiff / Namensgebung: der Name kommt von "Chef", in Rhäzüns wurde das Wort "Chef" in Zusammenhang mit Ludwig Anton Vieli falsch ausgesprochen - eben "Tschiff"

Wellinger Gion (?) - Gion da vignars / vignars = Schnapps

? Fancinellas-Casentieri - ils Romaners / allas Romaneres / papa pign
1730 - 1796 Paulus Josephuns Fancinellas war Romaner (aus Rom stammend) und wanderte im Jahre 1730 in Rhäzüns ein.  Nach 148 Jahren sesshaft ist das Geschlecht Mannestamm im Jahre 1878 ausgestorben. Nach 193 Jahren sesshaft stirbt auch seine letzte Schwester im Jahre 1923 (Feminim-Stamm). Papa pign (?) soll der letzte Spross gewesen sein.

? Gion (?)- Gion ballug / ballug = schwanken

? Gion (?) - Gion spalignau / spalignau = strubel von Sturbelpeter

Frauen:

Camenisch Barbara (1911-1970) - Milli / Namensgebung nicht bekannt

Camenisch Maria Johanna (1890-1961) - Hebamma / Namensgebung: Beruf Hebamme

Camenisch (Schwestern) - las lurinas 
Töchter von Lurin Caminisch-Christoffel
(1860-1941) (1866-1941) (1870-1948) (1873-1949) (1876-1946)

Caminada-Pitz Maria (1870-1954) - Maria sturna 
sturna steht für: schlechte Laune, eher negativ Lebenseinstellung (kann nicht wort wörtlich übersetzt werden)

Christoffel Maria (1884-1968) - Maria tschorva / tschorva = blind

Grisch-Spadin Thresa (1911-?) - Thresa da bovs / bovs = Ochsen
sie spannte die Ochsen vor den "Karren" 

Meschenmoser-Fetz Rebecca (?) - "Rebeka" / Wirtin von Restaurant crusch alva (weisses Kreuz)

Spadin Magdalena (1907-1994) - Madlena leunga / leunga = lang

Spadin Maria (1887-1966) - Maria da la Val / Namensgebung von Wohnquartier 

? Agnes (?) - Näsa tschuffa / tschuffa = schmutzig